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  • Universitätsgebäude am Wittelsbacherplatz, Würzburg. (Foto: Robert Emmerich)
Lehrstuhl für Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen - Sonderpädagogik I

Selbstreflexion

Selbstreflexion

im Ausbildungsprogramm "Feinfühlig Unterrichten"

Die Person des Lehrers und der Lehrerin ist zweifelsohne, nimmt man die Erkenntnisse der dem Ausbildungskonzept „Feinfühlig Unterrichten“ zu Grunde liegenden Bindungstheorie ernst, das wirksamste und am häufigsten eingesetzte Unterrichts- und Fördermittel.

Die Medizin ist sich dessen schon seit längerem bewusst, und erst vor kurzem hat der Freiburger Arzt und Neurowissenschaftler Joachim Bauer festgestellt: „Eine der stärksten Drogen für den Menschen ist der andere Mensch (Bauer 2015, 119). Mit Bezug auf eine schmerzlindernde Wirkung konnte festgehalten werden, dass die Zuwendung des Arztes mit Blick auf seinen Patienten auf ähnliche biologische Rezeptoren einwirkt wie Medikamente. Es scheint so zu sein, dass unser Gehirn „Kommunikation in Biologie“ (Bauer 2015, 119) verwandelt.

Die Person des Lehrers und der Lehrerin und die Art und Weise, wie sie sich an ihre Schüler wenden, wirken also, ergänzend zu den fachdidaktischen Überlegungen und Unterrichtskonzepten, direkt auf den Lernprozess der Kinder ein – oder eben auch nicht. Und wenn es ganz problematisch verläuft, dann stehen der Lehrer und die Lehrerin mit seiner/ihrer Person dem Lernen der Kinder auch noch im Wege. Das kommt ja häufiger vor, als es tatsächlich Thema der universitären Lehrerbildung ist. Doch nicht umsonst hat Christian Gotthilf Salzmann, ein deutscher Pädagoge und evangelischer Theologe, 1805 schon gefordert: „Habe ich denn gesagt, daß man den Grund von allen Untugenden und Fehlern der Zöglinge dem Erzieher beimessen müsse? Nichts weniger als dieses. Nur von dem Erzieher fordere ich, dass er selber den Grund davon in sich suchen sollte, damit, wenn er denn wirklich in ihm läge, er ihn wegräumen können“ (Salzmann 1964, 23).

Wenn also der Lehrerpersönlichkeit eine so große Bedeutung – im positiven und im negativen Sinne – zukommt, dann wäre es mehr als fahrlässig, nichts über deren pädagogischen Potentiale und Möglichkeiten und auch nichts über die damit zusammenhängenden Risiken und Nebenwirkungen in Erfahrung bringen zu wollen.

Unser Seminarangebot zur Selbstreflexion möchte gewissermaßen zu einer „Pharmakologie“ des jeweiligen Lehrers und der jeweiligen Lehrerin beitragen. Es soll ihnen möglich werden, berufsbezogen in Erfahrung zu bringen, welche mehr oder weniger bewussten Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen ihre Unterrichtspraxis (mit-)gestalten. Hierzu gehört auch ein Verständnis des eigenen, biographisch bedingten Gewordenseins. Denn es sind ja nicht nur die Kinder, die unterschiedliche Bindungsmuster, biographische Erfahrungen und aktuelle (problematische) Situationen und Sachverhalte mit in den Unterricht bringen. Auch die Lehrer tun das – erwarten können wir aber, dass sie sich ihrer inneren Dynamik doch etwas bewusster sind.

Die Selbstreflexion findet, ähnlich der Fallreflexion, in der Gruppe statt. Diese trifft sich während der Vorlesungszeit einmal wöchentlich zu 1,5 Stunden.

In der Selbstreflexion geht es darum, ohne Vorgabe irgendwelcher Themen durch den Gruppenleiter, kontinuierlich zu klären, was in der Gruppe als Ganzer, zwischen den einzelnen TeilnehmerInnen sowie zwischen den TeilnehmerInnen und dem Gruppenleiter affektiv-emotional vor sich geht.

Die Klärung des psycho- und soziodynamischen Prozesses innerhalb der Gruppe steht im Fokus der Aufmerksamkeit.

Literatur:

Bauer, J. (2015): Selbststeuerung. Die Wiederentdeckung des freien Willens. München

Salzmann, C.G. (1964): Das Ameisenbüchlein (2. Aufl.). Bad Heilbrunn / Obb.